SP-Interpellation: «Welches Wachstum wollen wir in der Stadt Zug»

GGR vom 23. März 2021

Die SP-Fraktion dankt dem Stadtrat für die umfassende Bearbeitung unserer Interpellation. Die Antwort des Stadtrates stellt ein veritables Kompendium an Daten und Fakten dar, die es politisch aufzuarbeiten und auch zu hinterfragen gilt. Vom Stadtrat, von diesem Rat und letztlich auch von der gesamten Bevölkerung. Das Wachstum soll moderater und nachhaltiger ausfallen.

Die Antwort des Stadtrates kommt zumindest aus unserer Sicht als etwas eindimensionale Lobeshymne auf das Wachstum mit all seinen ökonomischen Vorteilen daher. So solle das Wachstum, welches – wie eingeräumt wird – zwar durchaus mit Herausforderungen verbunden ist, unserer Stadt weiterhin Segen und Reichtum bescheren!

Bekanntlich aber hat jede Medaille zwei Seiten. So stellen wir von der SP-Fraktion etwas ernüchtert fest, dass die Kehrseite oder vielmehr die mannigfaltigen Kehrseiten dieser Medaille in der Interpellationsantwort des Stadtrates zu kurz kommen. Der Stadtrat bleibt uns viele Antworten auf Fragen, die sich aus den zum Teil richtig herausgearbeiteten Feststellungen ergeben, leider schuldig. Diese Fragen aber gehören beantwortet, damit wir zum Schluss die Hauptfrage beantworten können: Welches Wachstum wollen wir in der Stadt Zug? Vor diesem Hintergrund sehen wir in der Antwort des Stadtrates ein eigentliches Auftakt- und Grundlagenpapier zu einer grossen und verantwortungsvollen Arbeit, die der Stadtrat, dieser Rat und die Zuger Bevölkerung erst noch wird leisten müssen.

Für unsere Fraktion aber auch für viele Zugerinnen und Zuger ist nach wie vor nicht ersichtlich ist, weshalb der Stadtrat dem steten Druck von Landeigentümern und Projektentwicklern einfach so nachgeben will? Haben wir das wirklich nötig, sollten wir unsere Haut nicht viel teurer verkaufen und eben ein qualitatives Wachstum anstreben!? Ist der sogenannte Wachstumsdruck für den Stadtrat letztlich die einzige Rechtfertigung? Warum genügt nicht ein Wachstum gemäss kantonalem Richtplan? Die dort vorgesehenen 36’900 Einwohner (gegenüber heute + 5’500) und 49’300 Arbeitsplätze (gegenüber heute + 8’300) stellen doch bereits eine grosse Herausforderung dar bezüglich Infrastruktur, Mobilität, Vermeidung von Segregation usw. Warum sollen wir mit weiteren 10’000 Einwohnern und weiteren 1000 Arbeitsplätzen planen? Wer will das? Will das die Stadtzuger Bevölkerung tatsächlich? Wo lässt sich da der politische Willen des Stadtrates zu einer aktiven Gestaltung einer massvollen und nachhaltigen Stadtentwicklung ausmachen? Es scheint, als genügt es ihm, den ureigensten Interessen der Investoren und Projektentwickler den goldenen Teppich auszurollen. Denn eines ist klar, für Investoren stellt der Platz Zug eine risikolose Zone dar, wo sich sichere und vor allem hohe Renditen erwirtschaften lassen.

Wir teilen die Einschätzung des SR, wonach die Stadt Zug aufgrund ihrer Lage sowie der tiefen Besteuerung einem hohen Druck ausgesetzt ist. Die Lage Zugs ist gottgegeben, die Steuern sind hausgemacht! Hier besteht unseres Erachtens eine wichtige Stellschraube, welche die Nachfrage nach Zug eindämmen dürfte. Denn die meisten ziehen nicht primär wegen der schönen Sonnenuntergänge nach Zug, sondern weil es sich im Portemonnaie auszahlt.

Die SP-Fraktion erachtet die Zunahme der Arbeitsplätze auch gemäss kantonalem Richtplan viel zu hoch. Die Anzahl Arbeitsplätze müsste grundsätzlich reduziert werden. Wohlmöglich wird das vermehrte Homeoffice dazu seinen Beitrag leisten. Unseres Erachtens besteht seit gut fünfzig Jahren ein Missverhältnis zwischen der Anzahl Arbeitsplätze und der Einwohnerzahl. Weil die Anzahl der Arbeitsplätze stark zunehmen soll, prognostiziert der Stadtrat nun kurzerhand, dass dies auch das Verhältnis der Einwohnerzahl bzw. der Stadtbevölkerung forcieren bzw. verbessern werde. Dies jedoch dürfte sich allenfalls als Trugschluss entpuppen, zumal ja auch die Anzahl der Pensionierten gemäss den Ausführungen des Stadtrates überdurchschnittlich zunehmen wird.

Rund 30% der vom Kanton angestrebten Verdichtung soll in der Stadtlandschaft der Stadt Zug stattfinden. Damit soll die von der Stadt berechnete und auf den laufenden Projekten basierende Bevölkerungszunahme von 10’000 bis 15’000 Menschen aufgefangen werden. Demgegenüber prognostizierte der Kanton 2019 noch ein Wachstum für die Stadt Zug von 6’300 Personen, der Bund aufgrund neuester Zahlen ein solches von 9’000. Und der Stadtrat ist bereits mit zusätzlichen 10’000 bis 15’000 Menschen unterwegs. Wer zeichnet für diese galoppierende Entwicklung verantwortlich? Hatte die Bevölkerung dazu je etwas zu sagen?

Da fragt sich die SP-Fraktion schon, ob uns mit dem «Zauberwort» Verdichtung und mit dem Wachstum nicht einfach Sand in die Augen gestreut werden soll. Der Stadtrat jedenfalls scheut sich nicht davor, uns allen zahlreiche wohlklingende und schon fast grenzenlose Versprechungen für sein Wachstumsszenario zu machen:

«Das Wachstum führt dazu, dass das Wohn- und Arbeitsumfeld städtischer, urbaner, vielfältiger, farbiger und abwechslungsreicher wird. Die Interaktion und bei geschickter Wohnbaupolitik auch die Vielfalt der Bevölkerung nehmen zu. Die zusätzlichen Einwohnerinnen und Einwohner sind eine Chance, um das Quartier- und Vereinsleben zu stärken.»

«Die Stadt Zug wird durch das Wachstum städtischer. Die Infrastrukturen, das Wohn- und Arbeitsumfeld sowie das Naherholungs- und Freizeitangebot werden aufgewertet. Die bestehenden Infrastrukturen werden durch die zusätzlichen Bewohner effizienter genutzt. Das Detailhandels- und das Gastronomieangebot werden gesichert und gestärkt.»

Mit diesen Superlativen suggeriert uns der Stadtrat bloss Chancen, die Risiken blendet er aus!

Was passiert denn, wenn alle diese Prophezeiungen nicht eintreffen? Welches sind dann die Folgen dieser Verdichtung, dieses horrenden Wachstums? Verkommen die verdichteten Wohngebiete dann einfach zu toten Schlafstätten von Menschen, die weiterhin ihrem Lebensmittelpunkt in der Stadt Zürich oder in Luzern frönen. Was hätte das dann mit der angestrebten Urbanität zu tun? Nichts, rein gar nichts, vielmehr mit bester, allerdings hausgemachter Agglo-Qualität! Was macht dann der Stadtrat mit all den enttäuschten Hoffnungen und den verblassten Emotionen? Meine Damen und Herren, das vom Stadtrat angesagte Wachstum ist mit Risiken verbunden. Diese gehören für ein menschen-, umwelt- und Zug-gerechtes Wachstum sorgfältig evaluiert und analysiert, bevor wir alle Wachstums-Schleusen öffnen.

Sicher ist zudem eines: Verdichtung wird den letzten älteren und preisgünstigen Wohnraum wegerodieren. Neue Bauvorhaben werden mehrere Jahre Bauzeit beanspruchen, so dass die bisherigen, alteingesessenen Bewohnerinnen und Bewohner sich andere Wohnungen suchen müssen (siehe Chamerstrasse, Inwil). Ob sie nach Vollendung der Neubauten dorthin zurückkehren können, ist allein aufgrund der viel höheren Mietzinsen mehr als fraglich. Denn die bürgerlich dominierte Stadt Zug tat sich bisher immer schwer mit der Einsicht, dass preisgünstiges Wohnen zu fördern und grundsätzlich nichts Schlechtes ist. Immerhin stellt der Stadtrat auf Seite 14 klipp und klar fest: «Von Bedeutung für die Stadt Zug ist der Erhalt und der Ausbau des Angebots an preisgünstigem Wohnraum.» Dass er sich dabei aber auch gleich noch selber auf die Schulter klopft, und seine diesbezüglichen Aktivitäten rühmt, wirkt auf uns dann doch etwas zu schönfärberisch! Die Ausführungen des Stadtrates, wonach es auch mit all den übrigen Bauträgern punkto preisgünstigen Wohnraum paletti läuft, darf hinterfragt werden. Die Zonen für preisgünstiges Wohnen sind da, ja, aber sie gehören punkto Mietzinsgestaltung und Rendite regelmässig kontrolliert. Aber auch bei Anbietern wie der Korporation Zug oder den WBG ist ein Trend zu Mieterhöhungen bei Neuvermietungen erkennbar.

Aber wer weiss, vielleicht verleiht die aktuelle FDP-Motion (Zudien-Motion?) dem preisgünstigen Wohnraum vielleicht Flügel? Vermutlich hat sich auch in den bürgerlichen Parteien die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Wohnen in Zug auch für solide Mittelstandsfamilien nicht mehr erschwinglich ist. Dazu tragen die zum Teil unangemessenen Renditeerwartungen der Anbieter aber auch die hohe Kaufkraft der zuziehenden Bevölkerung massgeblich bei. Dies bestätigt der Stadtrat auf Seite 13. Die Segregation nach Einkommensschichten wird demzufolge weitergehen – und scheint vom Stadtrat widerspruchslos hingenommen zu werden! Ob dieser skizzierten Segregationsfolge sind dessen Ausführungen zum erhöhten Flächenbedarf der Wohnbevölkerung vernachlässigbar und auch nicht weiter hilfreich. Denn letztlich ist es ein von Renditevorgaben geprägter Anbietermarkt. Die Mietenden haben hier keine Mitsprache. Wer sagt denn, dass Mietende bloss grosse, komfortable Wohnungen nachfragen würden, wenn wirkliche Alternativen mit tieferem Mietzins vorhanden wären? Was der Stadtrat bei der Gegenüberstellung der Anzahl Wohnungen mit der Anzahl Einwohner übrigens ausklammert ist die Tatsache, dass seit 1960 viele Wohnungen in Büros umgewandelt wurden. Angesichts der geringen oder gar nicht existenten Mindestwohnanteile im Zonenplan und den Bebauungsplänen und der nicht existenten Kontrolle der Nutzungen kam es trotz vieler neugebauter Wohnungen zu einem relativ geringen Zuwachs der Bevölkerung. Die fehlende Kontrolle des tatsächlichen Bewohnens stellt ein weiteres Problem dar. So werden heute viele Wohnungen gar nicht bewohnt, sondern bloss zur Steueroptimierung angemietet oder gekauft.

Sodann verdienen auch die Klimafolgen der angestrebten Verdichtung Beachtung, wiewohl der SR auch all diese Aspekte unerwähnt lässt. Welche Klimawirkungen hat die stadträtliche Wachstumsstrategie, welcher Ressourcenverbrauch ist damit verbunden? Die Verdichtung wirkt nachgerade gegenläufig zu den Zielen einer lebenswerten Stadt, führt sie doch auf eine zusätzliche Erwärmung des Stadtraumes hin.

Heute kommt die Hälfte der Zupendler (vor allem aus den umliegenden Gemeinden Baar, Cham und Steinhausen, das waren im Jahr 2018 total 5944) mit dem Auto nach Zug zur Arbeit. Offensichtlich gibt es noch immer zu viele Parkplätze. Diese Entwicklung wird mit dem Technologie Cluster V-Zug fortgesetzt, wo gemäss rechtskräftigem Bebauungsplan für 4600 Arbeitsplätze (+ 4’100 gegenüber heute) auch 2’250 PP zur Verfügung stehen sollen. Damit einher geht selbstredend, dass diese Zupendler einer umweltgerechten Mobilität entgegenwirken. Da davon auszugehen ist, dass auch das Mehr an Einwohnern mehr Verkehr generieren wird, dürfte das Verkehrschaos auf den städtischen Strassen vorprogrammiert sein!

Sie sehen meine Damen und Herren, wir bewegen uns mit dem angedachten Wachstum auf überaus heiklem Parkett. Und das sollte man sich eingestehen, auch der Stadtrat. Er sollte nicht so tun, als ob dies für ihn alles plan- und kontrollierbar wäre, wenn man den Dingen einfach seinen Lauf lässt. Klar ist, dass der Stadtrat angesichts all seiner Versprechungen umgehend damit anfangen muss, bei Investoren und Bauherrschaften vieles an Qualitäten dezidiert einzufordern: punkto Wohnungsbau, punkto Mobilität, punkto Städtebau sowie Aussenraumgestaltung. Es wird dabei vermutlich in Kauf nehmen müssen, sich bei Investoren auch unbeliebt zu machen, ansonsten er seine Versprechungen nie wird halten können. In seinem mutig und entschlossen klingenden, jedoch von vielen Worthülsen geprägten Fazit kündigt der Stadtrat an, all diese Herausforderungen anpacken zu wollen. Ein grosses Versprechen!

Die Politik, dieser Rat aber insbesondere auch die Bevölkerung unserer Stadt werden klären müssen, ob sie der stadträtlichen Hochrisiko-Strategie folgen wollen. Oder ob wir es nicht etwas gemächlicher angehen lassen wollen. Die nächsten Schritte in der weiteren Stadtentwicklung und die Festlegung der Wachstumsstrategie gehören sorgfältig und gemeinsam entwickelt. Nur dann wird sie die Bevölkerung auch mittragen können und wollen.

Zum Schluss zitiere ich Frau Irmi Seidl (NZZ vom 15. März 2021, S. 27). Sie zeichnet als Leiterin der Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), welche ein Forschungsinstitut des ETH-Bereichs ist. Sie macht sich Gedanken zum Wachstum im Kanton Zürich. Diese lassen meines Erachtens sich eins zu eins auf unsere Wachstumsdiskussion ummünzen:

«Die Szenarien für die Bevölkerungszunahme basieren auf differenzierten Überlegungen zu künftigen Geburtenraten und Sterblichkeit, zu internationalen Wanderungsbewegungen sowie zum Erwerb des Schweizer Bürgerrechts. So prognostiziert das Bundesamt für Statistik, dass der Kanton Zürich bis 2050 von 1,5 Millionen auf 1,8 bis 2,2 Millionen Personen wachsen werde (21 bis 41 Prozent). Das mittlere Szenario gilt, also ein Wachstum von 29 Prozent (Stadt Zug strebt ähnliches Wachstum an). Der Kanton Zürich errechnet ähnliche Zahlen mit Horizont 2040.

Nach diesen Szenarien richtet sich die Planung in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, wobei man dank der Bevölkerungszunahme weiteres Wirtschaftswachstum erwartet. Doch die oben genannten Kosten und Konflikte scheinen als Planungsgrundlage ebenso ausgeblendet zu sein wie die entstehenden Schäden an der Biodiversität, der Ressourcenverbrauch oder die Klimawirkung. Unberücksichtigt bleibt auch, wie die Städte vor der Klimaerwärmung geschützt werden können. Stattdessen schaffen die Planerinnen und Planer sowie die Politik auf Basis der Szenarien die Voraussetzungen für die prognostizierte Bevölkerungszunahme und machen die Szenarien zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Es erstaunt, dass es keine breite öffentliche Diskussion zu diesen Bevölkerungsszenarien gibt, bestimmen sie doch erheblich die künftige Lebensqualität der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme.

Angesichts der existenziellen ökologischen Gefährdung der Menschheit läge es nahe, den Rahmen der Entwicklungsmodelle der Schweiz neu zu definieren: Die Ziele des Pariser Klimaabkommens, der Biodiversitätskonvention und der Biodiversitätsstrategie sowie jene der neuen Bodenstrategie oder die Einhaltung der planetaren Grenzen müssten die Leitplanken bilden, statt dass man sich an fortgeschriebenen bisherigen Trends und vermeintlichen Sachzwängen ausrichtet. Dies auch, weil sich die Schweizer Bevölkerung um ihr Lebensumfeld sorgt, wie die Omnibus-Erhebung 2019 zeigt: Lärm, Luftverschmutzung, Biodiversitätsverlust und Klimawandel gelten als zunehmend problematisch. Diese Sorgen dürften sich zuspitzen, wenn die Bevölkerungsszenarien die bauliche Entwicklung in der Schweiz leiten.

Ich frage mich auch, wie es nach 2040/50 weitergehen soll. Will man das Feld darauf vorbereiten, damit sich die jährlichen Wachstumsraten der Bevölkerung von 0,9 Prozent fortsetzen und somit auch das Wirtschaftswachstum, das den Umweltverbrauch noch weiter in die Höhe treibt? Eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch ist schon heute äusserst unwahrscheinlich.

Die Bevölkerungsszenarien erlauben uns unterdessen, den Punkt in die Ferne zu rücken, an dem wir uns fragen müssen: Was kommt nach dem ständigen Wachstum der Naturausbeutung, der Verschmutzung und Zerstörung, der Zubetonierung, der Zerschneidung und der zunehmenden Unwirtlichkeit der Städte? Vorerst planen und bauen wir!

In unserer Stadt muss dies anders sein. Wir sollten die Grenzen des Wachstums antizipieren bzw. erkennen, bevor dieses für unsere Stadt irreversible Folgen hat. Lassen sie unsere Perle gemeinsam und vor allem sorgsam entwickeln!

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